„Hallo Frau Brüske, können Sie sich vorstellen ein Wochenendseminar für taubblinde Frauen zu gestalten?
Die Frauen wollen sich austauschen, Gemeinschaft erleben und sich mit ihren Stärken und ihrer Lebenssituation
auseinandersetzen.“

Nicht hören, nicht sehen, kein gesprochenes Wort?

Meine spontane Reaktion:
„Das geht nicht. Wie soll ich mich verständigen und wie die Anliegen der Frauen verstehen?“

Ich rede gerne, ich lache laut, mit meiner Stimme bin ich sehr präsent, dass macht mich aus.
Mein Körper ist bei der Kommunikation immer in Bewegung, aber Lormen, taktile Gebärden und Gebärdensprache beherrsche ich nicht.

Diese Reaktion ist meine Gesprächspartnerin anscheinend gewohnt. Sie bleibt hartnäckig, gibt nicht auf.

Zwei Wochen später sitze ich im Zug auf dem Weg zu unserem ersten Treffen.
Ihre Hartnäckigkeit und Begeisterung hatte mich angesteckt. Ich wollte Sie kennenlernen und mich dann entscheiden.

Als wir uns gegenüber saßen war mir schnell klar den Auftrag ablehnen – unmöglich.

Mein Kopf schrie, „Nein“ bist Du verrückt. Wie willst Du das denn schaffen. Das passt doch gar nicht in Deinen Plan.
Du wolltest doch…

Mein Herz und mein Bauch gaben mir deutlich zu verstehen: „Das ist genau Dein Ding. Kneifen geht nicht.
Da gibt es was voneinander zu lernen.

Entsprechend dem Motto meiner Workshops – Jetzt gemeinsam weiter entwickeln.

Während meiner Vorbereitung des Wochenendes meldete sich wieder mein Kopf.
Zweifel machten sich breit.
Schnell im Internet recherchiert, Bücher bestellt und Filme über Gebärdensprache und Lormen geschaut, und…

Der innere Kritiker lief auf Hochtouren. Meine Vorbereitung kam ins Stocken. Ein ungutes Gefühl machte sich breit.

Stopp!

„Tief in den Bauch atmen“

Schon besser, und nun auf die eigentliche Aufgabe besinnen. Was genau ist mein Auftrag?
Muss ich wirklich bis zum Seminarwochenende die Anfänge der Gebärdensprache und des Lormens beherrschen?
Wer hat das gefordert?

Ich besinne mich auf das was ich gut kann, und bereite das Thema für die Zielgruppe methodisch und didaktisch auf. Erstelle mir einen Ablaufplan und bereite alles für ein gutes Miteinander während des Wochenendes vor.

Ohrenstöpsel und Augenbinde eingepackt und ab nach Brilon zum Schauplatz des Wochenendseminars und das Geplante im Selbstversuch erprobt – mit Taubblinden Assistenz, in meinem Fall musste mein Mann assistieren.

So eingestimmt und im Vertrauen auf die Dolmetscherinnen, die Taubblind Assistentinnen,
meine Auftraggeberin und mich, wurde das Wochenende zu einem bewegten und kommunikativen Erlebnis für alle. Tiefes Vertrauen, Mut, Stärke und Lebenslust war am gesammten Wochenende spürbar.

Besonders beeindruckt hat mich die eindeutige, auf einander bezogene Kommunikation.
Das Einfühlen in die Bedürfnisse der anderen. Der Kontaktaufbau über die Haut, die Atmung und den Geruch.
Mit einander Arbeiten und spüren, dass Gemeinschaft da ist.
Kein Platz für hätte, würde, sollte und vielleicht. Kein dazwischen quatschen, keine langen Monologe.
Vor der Antwort kommt das Verstehen.

Weniger ist mehr – in der Kommunikation

Diese 7 Gesprächsregeln habe ich an diesem Wochenende erlebt:

  1. Kommunikation ist immer konzentriert, auf mein Gegenüber ausgerichtet und passiert nicht einfach so nebenbei
  2. Weniger ist mehr, denn alles was kommuniziert wird, wird im Gedächtnis verankert
  3. Es kann immer nur einen geben der eine Mitteilung macht (Sender). Die anderen sind auf das Verstehen (Empfänger) fokussiert
    Erst nach dem Verstehen und eventuellen Nachfragen kommt die Antwort/ der eigene Beitrag
  4. Kurze klare Aussagen, möglichst keine Fremdwörter, ruhige deutliche Aussprache
    Pausen machen beim Sprechen, keine Monologe
  5. Direkt und eindeutig kommunizieren, keine Weichmacher und Nebenthemen
  6. Immer nur eine Frage gleichzeitig stellen
  7. Über die „Sprache“ Bilder erzeugen

Eine umsichtige, aufeinander bezogenen Kommunikation auf die ich in meinen nächsten Gesprächen verstärkt achten werde.

Für die Taubblinden Teilnehmerinnen des Wochenendes hoffe ich, dass sich ihr großer Wunsch nach privater,
unbeobachteter Kommunikation in der eigenen Sprache so oft wie möglich erfüllt. Gestärkt durch die Gemeinschaft können sie sich selbstbewusst für ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe einsetzen.

Von den Taubblind Assistentinnen habe ich gelernt, wie zuverlässig und gleichzeitig zurückhaltend Unterstützung gelebt werden kann.

Mein Dank geht an alle Frauen dieses Wochenendes. Ich freue mich schon sehr auf unsere nächsten Begegnungen. Es gibt noch viel mit einander zu erleben, von einander zu lernen und gemeinsam zu bewegen.

Unmöglich gibt es nicht

Das Motto von Adina Tal, die das weltweit erste taubblinde professionelle Theater gründete.

Beste Grüße

Andrea Brüske

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Kommentare.

  • Martina Bünger
    18. August 2017 9:03

    Liebe Andrea, vielen Dank, dass du uns an dieser besonderen Begegnungen teilhaben lässt. In deinen Sätzen lese ich in jeder Zeile großen Respekt, tiefes Vertrauen und unbändige Freude.
    Diese und ähnliche Begegnungen, eine berührende Art der Kommunikation und der unbändigen Kraft und Stärke, all dies macht das Besondere an unserer Arbeit aus.
    Wie wunderbar!
    Welch ein Glück, dass ihr euch an diesem Wochenende gefunden habt.
    Ganz liebe Grüße Martina

  • Martina Bünger
    18. August 2017 9:03

    Liebe Andrea, vielen Dank, dass du uns an dieser besonderen Begegnungen teilhaben lässt. In deinen Sätzen lese ich in jeder Zeile großen Respekt, tiefes Vertrauen und unbändige Freude.
    Diese und ähnliche Begegnungen, eine berührende Art der Kommunikation und der unbändigen Kraft und Stärke, all dies macht das Besondere an unserer Arbeit aus.
    Wie wunderbar!
    Welch ein Glück, dass ihr euch an diesem Wochenende gefunden habt.
    Ganz liebe Grüße Martina

  • Liebe Martina,
    danke für Deine warmen Worte. Es war wirklich ein ganz besonderes Wochenende.
    Beste Grüße
    Andrea